Ein Hahn stand frühmorgens auf einem Miststock, streckte seinen Hals in die Höhe und krähte aus voller Lust dem kommenden Tag entgegen – einmal, zweimal, drei-mal. Es war eine Freude ihm zuzuhören. „Guten Morgen Herr Hahn“, sagte eine Stimme neben ihm: „Kräh du nur, doch du wirst sehen, die Stunden der Hähne sind gezählt! Du gehörst einer aussterbenden Gattung an!“ Es war ein Marder der so sprach, der sich unbemerkt dem Hahn genähert hatte. „Warum?“, fragte der Hahn und bewegte seine Flügel, um bereit zu sein, notfalls auf die Fensterbank des an-liegenden Stalles zu flattern. Dieses Tier schien ihm nicht ganz geheuer. „Weil Ihr zu unnützen Fressern und zu Störenfrieden geworden seid. Der Mensch braucht euch nicht mehr und er wird euch eliminieren.“ „Das kann doch nicht sein! Wir die stolzen Hähne!“ Der Hahn war entsetzt. „Wir werden doch von den Menschen ge-liebt!“ „Als Wächter auf dem Kirchturm ja, oder an Ausstellungen von Rassentieren. Um Nachwuchs zu produzieren seid Ihr zwar immer noch notwendig, aber dafür genügen wenige Hähne. Du hast wohl noch nie eine grosse Hühnerfarm gesehen, warst noch nie in einer Brutstation für Legehennen. Da werden Tausende von Hühnern gezüchtet, und nirgends gibt es einen Hahn. Euer Geschrei ist bei den Menschen auch nicht mehr gewünscht.“ Beleidigt antwortete der Hahn: „Unsern stolzen Ruf nennst du Geschrei?!“ Aber der Marder lachte nur und sagte: „Geh doch einmal in ein grösseres Dorf oder in eine Stadt. Wer dort einen Hahn hält, wird we-gen Ruhestörung angeklagt. So sind eben die Menschen. Sie wollen in ihrer Nähe keine unnötigen Geräusche wie Kirchenglocken, Kuhglocken, das Geschnatter von Gänsen oder Enten, den Ruf eines Esels oder das Muhen einer Kuh. Solches Schauen und Hören sie lieber am Bildschirm.“ „Ist das wahr?“, fragte nach der lan-gen Rede des Marders der Hahn. Er konnte es kaum glauben. War die Welt aus den Fugen geraten? Zum Glück war sie hier auf dem Bauernhof, wo er geboren war noch in Ordnung. Der Marder war einen Schritt näher getreten und flüsterte: „Ja, weisst du, die Menschen sind Egoisten. Sie denken nur an sich und an ihren Vor-teil. Und sie wollen alles im Griff haben, auch dich und mich. Aber ich halte mich an die Natur…!“ „Ich auch“, rief mutig der Hahn, und schmetterte laut sein Kikeriki. In diesem Moment biss der Marder zu. Seine Zähne gruben sich tief ein in den Hals des Hahnes.